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Physiologische Vorgänge während einer BDSM-Session

...und warum es so wichtig ist, sie zu kennen


Bevor wir konkret auf physiologische Vorgänge in einer Session eingehen, möchte ich einen kleinen Exkurs wagen und ein paar grundlegende Mechanismen des menschlichen Körpers erklären.


Es gibt unterschiedliche Arten von Ausnahmezuständen, die unser Körper kennt - positive und negative. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie erzeugen Stress.

Stress kann negativ, aber auch positiv sein. Unser Nervensystem reagiert auf äußere Reize mit allerhand unterschiedlicher Reaktionen. Immer dann, wenn ein Reiz unseren Körper in Alarmbereitschaft versetzt (also wenn wir aufgeregt sind, wütend, Angst haben, usw.), schüttet er Hormone wie Adrenalin oder Cortisol aus, manchmal auch beides. Das führt dazu, dass beispielsweise unsere Atmung schneller wird, unser Blutdruck steigt, unsere Muskeln sich anspannen, usw. Dieser Mechanismus unseres Nervensystems stammt aus einer Zeit, in der die "Tierart Mensch" sich noch vor Raubtieren schützen musste und in der es nur darum ging, zu überleben. Sah der Mensch also ein Raubtier, nahm sein Körper instinktiv wahr: Gefahr. Dieser äußere Gefahrenreiz (wie heute noch in der Tierwelt weit verbreitet) erzeugte eine Stressreaktion mit einem Ziel: Den Körper leistungsfähig zu machen und ihn entweder auf Kampf oder auf Flucht vorzubereiten.

 

Exkurs: Schmerzempfinden

Spannend ist, dass der Körper in diesem Zustand ein verändertes Schmerzempfinden hat. Das ist im BDSM einerseits interessant, weil Forscher herausgefunden haben, dass bei sexueller Erregung dieselben Hirnareale aktiv sind wie beim klassischen Schmerz - was sich unter anderem darin zeigt, dass unser Orgasmusgesicht sehr ähnlich ist zu unserem schmerzverzerrten Gesicht. Und andererseits, weil es eben doch den klassischen Masochismus naheliegender macht, als man vielleicht denkt: Schmerz und Lust sind nicht so weit voneinander entfernt wie oft suggeriert wird. Für die After Care und den Aufbau von Sessions ist dieses Wissen wichtig, um zu begreifen, warum passive Menschen oft an und über ihre Grenzen gehen, während sie „fliegen“, also den Rausch in der Session fühlen. Der entsteht durch starke Adrenalin-Ausschüttung in Kombination mit sexueller Erregung. Wenn der Körper Schmerz dann nicht mehr so stark empfindet wie gewöhnlich und insgesamt in einem leistungsfähigeren Ausnahmezustand ist, will man manchmal mehr als der Körper eigentlich verträgt. Diese Gratwanderung führt zur Ekstase, wenn sie gemeistert wird, kann aber auch zum Drop führen, wenn man zu weit geht und einem das erst später bewusst wird.

 

Heute zeigen sich die Überreste dieses Mechanismus in extremen Stressreaktionen, wenn beispielsweise ein Mensch so starkes Lampenfieber (also Angst) hat, dass er sich übergibt oder Durchfall bekommt (Darmentleerung als Angstreaktion und Fluchtvorbereitung sieht man heute in Tierdokus bei Fluchttieren, die auf der Flucht ihren Darm entleeren). Gleichzeitig sehen wir auch die Tatsache überall, dass dieser Mechanismus dazu da ist, den Körper leistungsfähig zu machen: Gerade mit Lampenfieber sind Theater-Schauspieler oder Redner hochkonzentriert. In Prüfungssituationen rufen wir allerhand Informationen aus unserem Gehirn ab, in Wettkämpfen ist unser Körper im Durchschnitt ein Stück leistungsfähiger als in der Übungssituation. Bei Unfällen oder extremen Verletzungen empfinden wir oftmals erst keinen Schmerz, um überhaupt in der Lage zu sein, die Situation zu verlassen und (um im ursprünglichen Sinn zu denken) zu überleben. Derselbe Mechanismus wirkt, wenn wir beruflich unter so viel Stress stehen, dass wir über Wochen nur 4 Stunden schlafen, aber gut damit klarkommen. All das ist Adrenalin oder Cortisol oder beides. Adrenalin versetzt unseren Körper in einen Zustand der überdurchschnittlichen Leistungsfähigkeit. Aber alles, was eben über dem Durchschnitt liegt, hat auch seinen Preis. Alles, was der Körper (und dazu zählt auch das Gehirn und damit die Psyche) in einer Ausnahmesituation über dem eigenen Durchschnitt leistet, holt er sich irgendwann später auf die ein oder andere Art wieder.

Und hier kommen wir zur BDSM-Session. Es geht um das Bewusstsein für die Tatsache, dass dieser körperliche Ausnahmezustand kein spezifischer "BDSM"-Zustand ist, sondern erst einmal ein Zustand, den wir sowohl bei Unfällen, im Stress erleben, als auch beim Fallschirmspringen, beim Klettern, beim Sport und anderen selbst gewählten und gewünschten Aktivitäten - wir kombinieren ihn lediglich mit sexueller Erregung.

Vielen Menschen im BDSM ist nicht bewusst ist, dass wir regelmäßig unseren Körper in einen Ausnahmezustand versetzen, aber nicht beachten, dass auch positiver Stress eben Stress ist. Schmerz schüttet Adrenalin aus. Aufregung schüttet Adrenalin aus. Angst schüttet Adrenalin aus. Sexuelle Erregung schüttet Adrenalin aus. Der Rausch, den wir oft im BDSM beschreiben, das Fliegen, die sexuelle Ekstase ist eine gezielt hervorgerufene Reaktion, die auf einer Kombination von sexueller Erregung (dadurch fühlt es sich gut an und ist eben kein negativer, sondern positiver Stress) und reinem Adrenalin basiert. Das ist etwas Wundervolles, Intensives und Ekstatisches, aber wir dürfen eben nicht unterschätzen, dass wir die gewöhnliche sexuelle Reaktion hier mit einer zugefügten Portion Adrenalin potenzieren. Und Adrenalin muss abgebaut werden. Adrenalin, egal aus welchem Grund ausgeschüttet, verlangt dem Körper und der Psyche Höchstleistungen oder mindestens Leistungen über dem Durchschnitt ab, und - nochmal - alles über dem Durchschnitt holt der Körper sich wieder. Und dieses „Wieder-Holen“ geschieht entweder in einer sanften, gemeinsamen Talfahrt nach gelungener After Care oder endet eben in einem harten Fall, weil es nicht abgefangen wurde und die Diskrepanz zu groß war - das ist es, was man im BDSM „Drop“ nennt. Aus diesem Grund ist es so essentiell, sich aktiv und bewusst mit After Care auseinanderzusetzen und zu verstehen, was wir da eigentlich tun, was wir und unser Gegenüber brauchen und wie man damit umgeht, um BDSM am Ende zu einer bereichernden, lustvollen, intensiven und insgesamt ausgleichenden Erfahrung zu machen.


 

Wenn du dich ausführlich mit After Care auseinandersetzen und hier Möglichkeiten an die Hand haben möchtest, herauszufinden, was man selbst und das Gegenüber vor und nach einer Session brauchen könnte, wie man auf individuelle Bedürfnisse eingeht, und einiges mehr, dann schreib mir gern. Es gibt die Möglichkeit, sich bei der Femdomschule anzumelden, meinen Vortrag zum Thema "After Care" nachzuhören/-lesen, dich auf die Liste für den nächsten Termin setzen zu lassen oder einen Workshop dazu zu besuchen. Wenn du dazu mehr erfahren möchtest, schreib mir einfach einen unverbindlichen Einzeiler an kontakt@geführtesexualität.de



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